Die Filmmusik in Deutschland ist tot – so könnte man meinen. Ein Hans Zimmer oder ein Harold Faltermayer sind längst amerikanisiert, Klaus Doldinger hat sich aus dem Filmgeschäft weitgehend zurückgezogen, und die Zeiten, in denen Peter Thomas, Martin Böttcher oder Gert Wilden ungestört die großen Nachkommen der Wirtschaftswunderfilme vertonen durften und sich nicht nur des Swings, Jazz’ und Schlagers, sondern auch eines großen Orchesters bedienen konnten, sind lange vorbei. Der Soundtrack des wiedererstarkten aktuellen deutschen Films ist in erster Linie die Pop-Musik von gestern. Im Trend liegen augenblicklich die 70er- und 80er-Jahre, die mit ihren Songs den Teenie-Film anno 2002 mit der Aura von „hip“ und „cool“ umgeben. Auch Derivate der Techno-Musik und Rhythm & Blues sind immer gern genommene Richtungen, wenn es gilt, den (jungen) deutschen Kinogänger zu unterhalten.
Zwar ist im Zeitalter des Crossmarketings auch in Hollywood Pop-Musik ein häufig benutztes – und nicht selten auch sehr effektives – Lockmittel; doch im traditionsbewussten Mutterland des Kommerzkinos fährt man immer noch zweigleisig: Neben den Songs gibt es immer auch noch den Score. Was man unter anderem schlicht daran merkt, dass zu den auf ein jugendliches Publikum zugeschnittenen Komödien und Actionfilmen nach der Pop-Kompilation (in gebührendem Abstand) immer auch noch der Score-Soundtrack auf CD veröffentlicht wird, der die Songs in der Regel in nicht geringem Maße „umspielt“. In Deutschland werden – vor allem aufgrund des Engagements der Fernsehanstalten – Filme inzwischen wieder am Fließband produziert. Was eigentlich ein begrüßenswerter Zustand ist; in musikalischer Hinsicht profitieren davon allerdings in erster Linie nur jene Firmen, die sich auf „Music-Supervising“ spezialisiert haben. Vor allem für unabhängige deutsche Filmproduzenten ist es allein aufgrund der Rechteproblematik eine im Zweifel nicht gerade billige Angelegenheit – amerikanische Firmen, zumal wenn sie mit einem Musikverlag assoziiert sind, haben es da ungleich leichter, sprich billiger –, und doch wird in der Regel in den sauren Apfel der Tantiemen gebissen. Und dies aus zwei Gründen: Zum einen erspart es dem Regisseur die unmittelbare Interaktion mit einem Filmkomponisten, was musikalisches Gespür voraussetzt, zum anderen verkauft sich eine Pop-Kompilation als Soundtrack deutlich besser als ein eigens komponierter Originalscore (Crossmarketing). Dem Filmmusikkomponisten obliegt es so in der Regel nur noch, eine möglichst neutrale Vor- und Abspannmusik zu schreiben und sie mit dem einen oder anderen Zwischenakt-Cue auf zehn Minuten zu verlängern.
Die geringe Wertschätzung, die hierzulande dem Komponisten einer Filmmusik zugemessen wird, kann man leicht schon an den vom Verleih herausgegebenen Pressenotizen zum Film – wo die Nennung seines Namens häufig fehlt – und an den Soundtrack-Covern erkennen, auf denen er in den Titelcredits meistens nur mit der Lupe zu finden ist. Beispiele dafür sind „Was nicht passt, wird passend gemacht“ – Musik: Rainer Kühn – , „Was tun, wenn’s brennt“ – Musik: Stephan Zacharias und Stephan Gade – und „Das weiße Rauschen“ – Musik: Marek Goldowski. Mit einem solchen Missstand haben freilich nicht nur die weniger bekannten Namen der Branche zu kämpfen, auch ein „Urgestein“ wie Enjott Schneider, der die Filmmusik u.a. zu „Herbstmilch“, „Schlafes Bruder“ und „23 – Nichts ist so wie es scheint“ komponierte, wurde im Fall von „Knallharte Jungs“ regelrecht abserviert.
Jenseits solch stiefmütterlicher Behandlung deutscher Filmkomponisten lässt sich eines festhalten: Die Qualität der abgelieferten Kompositionen ist in der Regel auf einem erstaunlich hohen Niveau und braucht sich in keiner Weise hinter den Arbeiten US-amerikanischer Kollegen zu verstecken. Einigen Komponisten ist es sogar gelungen, eine „Hausnummer“ im deutschsprachigen Filmgeschäft zu werden; ihnen wird immer öfter die Chance gegeben, ihre Qualitäten auch jenseits der 90-Sekunden-Cues zu beweisen. Leider aber ereilt viele Arbeiten, besonders wenn sie im Bereich des Fernsehens in Auftrag gegeben wurden, das Schicksal vieler „Gebrauchsmusiken“: Sie verschwinden mit dem Endprodukt Film in den Archiven der Produktionsfirmen. Exemplarisch dafür ist die Musik zu „Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker“. Formal und inhaltlich mit Produktionen von Marco Beltrami („Scream“), John Ottman („Die üblichen Verdächtigen“) und John Frizzell („Alien Resurrection“) vergleichbar, ist Jürgen Eckes vom Babelberger Filmorchester eingespielter Score eigentlich mit allem versehen, was ihn für eine erfolgreiche Veröffentlichung auf CD prädestiniert. Doch der gut 50-minütige Soundtrack ging lediglich zu Promotionszwecken an Presse und Radiostationen, womit ein herausragendes Stück jüngster deutscher Filmmusikgeschichte unentdeckt, ja unkultiviert geblieben ist.
Nachfolgend soll ein kleiner Überblick über jene deutschen Filmkomponisten gegeben werden, die durchaus in der Lage sind, die Filmmusik in Deutschland auch gegen den Widerstand der Industrie über die Grenzen der „Gebrauchsmusik“ hinaus bekannt zu machen. Auf bewährte „Lichtgestalten“ wie Tom Tykwer – der in erster Linie seine eigenen Filme vertont – oder Enjott Schneider – der bereis seit 1985 erfolgreich im Geschäft ist – wird dabei nicht mehr genauer eingegangen (vgl. hierzu fd 12/1999); vielmehr soll mit der Zusammenstellung einen exemplarisches Schlaglicht auf eine immer noch im Verborgenen blühende, aber ausgesprochen vielfältige „Szene“ der deutschen Filmmusik geworfen werden.
Marcel Barsotti
Das melancholische Streichermotiv für die tragische Jugendgeschichte „Grüne Wüste“ (Regie: Anno Saul), das mit seinen eingearbeiteten Piano-Phrasen stets auch eine hoffnungsvolle Note ausstrahlt, gehört zu den nachhaltigsten deutschen Filmkompositionen des Jahres 2001. Der in der Schweiz geborene Filmmusik-Komponist, Songwriter und Produzent Marcel Barsotti konnte in den 80er-Jahren zusammen mit Harold Faltermeyer als „Chaya“ einige Pop-Hits verbuchen. Mit seiner einfühlsamen, im Gegensatz zu seiner früheren, eher esoterisch-klassischen Arbeit für „Dolphins“ (1999) nie kitschigen Musik etablierte sich Marsotti als Filmkomponist orchestraler Ausprägung. So ist es nicht verwunderlich, dass ihn der bevorzugt auf großes Orchester zurückgreifende Regisseur Sönke Wortman für seinen neuen Film „Das Wunder von Bern“ verpflichtete.
Filmografie: 1993 „Zeit der Sehnsucht“ (TV, RTL); 1994 „Thunder in Paradise“ (TV-Serie, RTL, nur Endtitel); „Sauerkraut“ (TV-Serie, ZDF, als Arrangeur); 1996 „Brüder auf Leben und Tod“ (TV, Pro7); 1997 „Für Immer und Immer“ [Soundtrack bei Colosseum]; „Insel der Furcht“ (TV, Pro7); „Das Tor des Feuers“ (TV, Sat1); 1998 „Sirga die Löwin“; „Eine Sünde zuviel“ (TV, ARD); „Mayday – Flug in den Tod“ (TV, ARD); „Chinadream“ (TV, ARD); „Dr. Berg, nur das Leben zählt“ (TV, ARD); „Ein Bär für alle Fälle“ (TV, RTL); 1999 „Die Angst in meinem Herzen“ (TV, RTL); 2000 „Dolphins“ [Soundtrack bei eastwest]; 2001 „Grüne Wüste“ [Soundtrack bei BMG]; „Club der grünen Witwen“ (TV, ZDF); „Hässliche Vaterliebe“ (TV, RTL); „Die Jagd auf den Plastiktütenmörder“ (TV, RTL); „Ein Yeti zum Verlieben“ (TV, Pro7) [Soundtrack bei United One Records]; 2002 „Die Novizin“ (TV, ZDF); „Operation Rubikon“ (TV-Zweiteiler, Pro7)
Nikolaus Glowna
Nach „Der Campus“ (1998) wurde es im Kino ruhig um Nikolaus Glowna. Sönke Wortmanns behäbige Sozialsatire hatte mit dem Score des in München geborenen Komponisten einen Hauch von großem, amerikanischem Kino bekommen und Glowna in die erste Kategorie seiner Zunft aufsteigen lassen. Sicherlich hat er einiges über den unverkrampften Umgang mit einem einprägsamen Hauptthema und seinen Variationen von Jerry Goldsmith und John Williams erfahren, bei denen er (wenn auch nur kurz) in die Lehre ging. Für seine zahlreichen Fernsehaufträge hat ihm das jedenfalls hörbar gut getan. (1999 wurde Glowna für seine Musik zur Serie „Bella Block“ mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.) Die maroden Klänge für Nico Hoffmanns Fernsehfilm „Der Sandmann“ sind inzwischen, wohl nicht zuletzt dank zahlreicher Ausstrahlungen, Glownas bekannteste Arbeit. „Solo für Klarinette“ – erst jetzt erfreulicherweise als Beigabe zur DVD des Films (mit)veröffentlicht – und „Tobias Totz und sein Löwe“ sind die einzigen Kinoausflüge Glownas nach 1998. Vorraussichtlich Ende 2002 wird sich das ändern, wenn Hans Christoph Blumenbergs Kinoprojekt „Planet der Kannibalen“ in die Kinos kommt.
Filmografie: 1986 „Der Fahnder“ (TV); „Maschenka“; 1987 „Im Jahr der Schildkröte“; 1988 „Eurocops“ (TV-Serie, ZDF); 1990 „Ein anderer Liebhaber“ (TV); „Der neue Mann“ (TV); 1991 „Der Brocken“; 1992 „Der nächtliche Besucher“; „Wolffs Revier“ (TV, Sat1); 1993 „Dann eben mit Gewalt“; „Der letzte Kosmonaut“ (TV); „Das Schicksal der Lilian H.“; „Gefährliche Verbindung“ (TV); 1994 „Victory“; „Lauras Entscheidung“; 1995 „Der Sandmann“ (TV); 1996 „Es geschah am hellichten Tag“ (TV, Sat1) [Soundtrack erschienen]; „Tödliche Wende“ (TV); „Deutschlandlied“ (TV-Mehrteiler); „Der Mörder und die Hure“ (TV); „Zwei vom gleichen Schlag“; 1997 „Geliehenes Glück“; 1998 „Der Campus“ [Soundtrack bei Virgin]; „Der Kopp“ (TV, Sat1); „Lonny, der Aufsteiger“ (TV); „Solo für Klarinette“ [Soundtrack in Verbindung mit der DVD]; 1999 „Bella Block“ (TV-Serie); „Tobias Totz und sein Löwe“ [Soundtrack bei eastwest]; „Morgen gehört der Himmel Dir“ (TV, Sat1); „Bangkok – Ein Mädchen verschwindet“ (TV, Pro7); 2000 „Der Schöne & das Biest“ (TV, SWR); „Rotlichtmeile II – Die Akte Fengler“ (TV, ZDF); „Das Deutschlandspiel“ (TV-Zweiteiler, ARD); „Der Ermittler“ (TV-Serie, ZDF); 2001 „Liebe macht blind“ (TV)
Biber Gullatz & Eckes Malz
Seit 1988 realisieren Biber Gullatz und Eckes Malz gemeinsam als Team musikalische Projekte im Bereich von E- und U-Musik, die sie eigentlich als untrennbare Bereiche betrachteten. Standen zu Beginn noch Arbeiten fürs Theater auf dem Programm, wurde das Betätigungsfeld zu Beginn der 90er-Jahre aufs Fernsehen ausgeweitet. „United Trash“ (1995) von Christoph Schlingensief markierte die erste Begegnung mit der „großen“ Leinwand, aber erst Nina Grosse gab ihnen mit „Feuerreiter“ (1998) die Möglichkeit, ihr immenses kreatives Potenzial auf ein 80-köpfiges Orchester zu übertragen. Leider fiel die Produktion internen Querelen zum Opfer, was eine reguläre Veröffentlichung der Musik auf CD verhinderte; sie ist aber über den Eigenverlag www.firsttakestudios.de zu beziehen. Von der abendfüllenden 20er-Jahre-Musik zu „Aimée & Jaguar“ (1998) ist auf CD lediglich das von Maria Schrader und Juliane Köhler gesungene Lied „Für immer und immer übrig“ geblieben. Wegen der fehlenden Credits wurde es bislang dem erst nachträglich dazugestoßenen Score-Komponisten Jan A.P. Kaczmarek zugeschrieben. Der zu Unrecht unterschätzte Film „Sumo Bruno“ (2000) verhinderte wegen der schwachen Besucherzahlen eine Veröffentlichung des Scores; so bleiben derzeit „Die Häupter meiner Lieben“ und ihre erfolgreichste Produktion „Emil und die Detektive“, um auf CD einen Eindruck des kompositorischen Konzepts zu erhalten. Besonders die fantasievolle Partitur für „Emil und die Detektive“, die über von Gitarren dominierte Klassik, HipHop und Jazz-Blues bis zum Swing eine kindgerechte, nie aber oberflächliche Orchestrierung offenbart, lässt auf die weiteren Projekte hoffen.
Filmografie: 1990 „Großstadtrevier“ (TV, ARD); 1995 „United Trash“; „Der Koffer“ (TV, ZDF); „Die Versuchung“ (TV, Sat1); 1996 „Adelheid und ihre Mörder“ (TV-Serie, ARD); „Mozart auf dem Dach“ (TV, ZDF); 1997 „Feuerreiter“; 1998 „Tatort: Restrisiko“ (TV, ARD/WDR); „Verschwinde von hier“ (TV, ARD); „Aimeé & Jaguar“ (szenische Musik & Beratung) [Soundtrack bei eastwest]; 1999 „Die Häupter meiner Lieben“ [Soundtrack bei BMG]; Tatort: „Kriegsspuren“ (TV, ARD/SWR); „Stunde des Wolfs“ (TV, ARD); „Wut im Bauch“ (TV, ARD); „Der Hahn ist tot“ (TV, ZDF); „Anwalt Abel“ (TV-Mehrteiler/ZDF); „Zerbrechliche Zeugin“ (TV, ARD); 2000 „Sumo Bruno“; „Gangster“; „Romeo“ (TV, ZDF); „Emil und die Detektive“ [Soundtrack bei Universal]; 2002 „Bibi Blocksberg“ [nur Biber Gullatz]
Niki Reiser
Obwohl Niki Reiser untrennbar mit den Filmen des Berliner Regisseurs Dani Levy verbunden ist, die Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre unverzichtbarer Bestandteil des deutschen Independent-Kinos waren, war es die Musik zu „Jenseits der Stille“ (1995), die den Schweizer weit über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt machte. Die Abkehr von der eher burlesken, folkgetönten Programmmusik der frühen Filme Levis hin zum intimen und lyrischen Score von Caroline Links Film etablierte ihn als eine Art John Barry des deutschen Kinos. Dieser Stilwechsel sollte auch seine späteren Arbeiten für Levi („Meschugge“) beeinflussen. Reiser gehört zu den wenigen in Deutschland tätigen Komponisten, deren Oeuvre einigermaßen lückenlos auf Tonträger dokumentiert ist, was daran liegen mag, dass „Jenseits der Stille“ seinerzeit einer der bestverkauften Soundtracks war. Es könnte aber auch sein, dass Glowna, der am Berklee College of Music studierte und bei Ennio Morricone in die Lehre ging, am besten den Nerv der Filmzuschauer (und Plattenproduzenten) trifft. Bereits der Titel „Nirgendwo in Afrika“, wieder eine Zusammenarbeit mit Caroline Link, assoziiert erneut die Nähe zu John Barry („Jenseits von Afrika“); im Gegensatz zum Film hat Reisers konzentrierte, ungewöhnlich reife Musik freilich nichts von einem Pollack/Barry-Epigonentum an sich. Die Mischung aus Afrikanismen (unvermeidbare Eingeborenen-Choräle), Streicherkadenzen und einem aus Streichern, Klarinette und Harfe ziselierten Andante als tragendes Motiv beweist vielmehr Reisers thematisches Einfühlungsvermögen. Gewiss ist er augenblicklich der (heimliche) Star der deutschen Filmmusik.
Filmografie: 1987 „Du mich auch“; 1989 „RobbyKallePaul“; 1990 „I was on Mars“; 1991 „Anna-annA“; 1994 „Keiner liebt mich“ [Soundtrack bei EMI]; 1995 „Stille Nacht – Ein Fest der Liebe“ [Soundtrack bei eastwest]; 1996 „Jenseits der Stille“ [Soundtrack bei Virgin]; 1997 „Meschugge“ [Soundtrack bei Motor/Universal]; „Das Trio“ [Soundtrack bei BMG]; „Im Namen der Unschuld“; „Liebling vergiss die Socken nicht“ (TV) 1998 „Pünktchen und Anton“ [Soundtrack bei BMG]; „Im Namen der Unschuld“ (TV) 1999 „Undertaker’s Paradise“; 2000 „Kalt ist der Abendhauch“ [Soundtrack bei BMG]; 2001 „Das Geheimnis der Sicherheit“; „Heidi“; „Heaven“; „Nirgendwo in Afrika“ [Soundtrack bei Virgin]
Dieter Schleip
Dieter Schleip gehört zu den produktivsten Komponisten der Filmmusik-Szene. Seinen vier Musiken für Kinofilme stehen in kaum sieben Jahren weit über 40 Arbeiten fürs Fernsehen gegenüber. Als müsse er die Quantität seines Arbeitspensums in Stille kompensieren, zeichnen sich viele seiner Arbeiten vor allem durch das Pianissimo aus. Schleips Kompositionen sind oft introvertierte Arbeiten aus dem Kammermusiksaal, in denen man kaum einmal den Pomp großer Bläsersätze vernimmt. Der knapp 40-jährige Aachener bemüht die Melancholie, ohne penetrant zu wirken. In seiner mit dem Preis der deutschen Filmkritik ausgezeichneten Musik für „Die Einsamkeit der Krokodile“ (2000) kaschiert er sie noch durch die Leichtigkeit des Akkordeons, in „Der Felsen“ (2001), seiner jüngsten Arbeit fürs Kino, tritt sie wieder ungeschützt zu Tage. Dominik Grafs Tragödie spielt auf Korsika; wo die Kamera das in allen Rot- und Okkertönen präsente Licht einfängt, entwirft Schleips Musik ein ebenso archaisches wie emotionalisierendes Äquivalent zur allgegenwärtigen Hitze, einer Hitze, die lähmt, gleichsam aber die Gefühle aufstaut, um sie zwangsläufig zum Ausbruch zu bringen. Nun sollte man meinen, ein solch etablierter Künstler wie Schleip dürfte keine Schwierigkeiten haben, seine Filmmusik – vor allem zu einem Film von Dominik Graf – veröffentlichen zu können. Mitnichten! In Hollywood würde man sie wohl für den „Oscar“ nominieren, hierzulande aber findet der mit den Prager Philharmonikern eingespielte, gut 60-minütige Score keinen Vertrieb.
Filmografie: 1995 „SK-Babies Pilot“ (TV, RTL); „FAUST: Todesangst“ (TV, ZDF), „Tödliche Hochzeit“ (TV, ZDF); „Roula“ [Soundtrack bei Colosseum]; 1996 „Ein Fall für zwei: Todesengel“ (TV, ZDF); „Busenfreunde“ (TV, Pro7); „Vergewaltigt – Lügen und andere Wahrheiten“ (TV, Pro7); „Amerika“ (TV, ZDF); „Wer Kollegen hat, braucht keine Feinde“ (TV, ARD); 1997 „FAUST: Tote weinen nicht“ (TV, ZDF); „FAUST: Villa Palermo“ (TV, ZDF); „Betrogen: Eine Ehe am Ende“ (TV, SAT1); „Vergewaltigt – Eine Frau schlägt zurück“ (TV, RTL); „Andrea & Maria“ (TV, ZDF); „Kind zu vermieten“ (TV, SAT1); „Die Konkurrentin“ (TV, ZDF), „Zwei Männer, zwei Frauen, vier Probleme“; 1998 „Leben für die Bayern“ (TV, BR); „Der Hurenstreik“ (TV, RTL); „Busenfreunde 2“ (TV, Pro7); „Tatort – Schwarzer Advent“ (TV, ARD/BR); „Duell der Richter“ (TV, ARD); „Bittere Unschuld“ (TV, ZDF); 1999 „Das deutsche Wohnzimmer“ (TV-Doku, BR); „Geschehen ist geschehen“ (TV-Doku, BR); „Die Schützes – Wir machen weiter“ (Doku); „Nachttanke“ (Doku); „Rendezvous mit dem Teufel“ (TV, Pro7); „Tatort – Das Glockenbachgeheimnis“ (TV, ARD/BR); „Frauen lügen besser“ (TV, ZDF); „Doppeltes Dreieck“ (TV, ZDF); „Deine besten Jahre“ (TV, ZDF); 2000 „Einer geht noch“ (TV, ARD); „Ein unmöglicher Mann“ (TV-Mehrteiler, ZDF); „Bella Block – Am Ende der Lüge“ (TV, ZDF); „Das Psycho Girl“ (TV, RTL); „Tatort – Kleine Diebe“ (TV, ARD/BR); „Die Einsamkeit der Krokodile“ [Soundtrack bei Koch Classics]; „Der gerechte Richter“ (TV, ARD); „Die Katzenfrau“ (TV, ARD); 2001 „Schwindelnde Höhe“ (TV, ARD); „Bobby“ (TV, ARD); „Der Liebe entgegen“ (TV, ZDF); „Der Felsen“; „Tatort – Im freien Fall“ (TV, ARD/BR); 2002 „Tatort – Tausend Tode“ (TV, ARD/SWF); „Der Anwalt und sein Gast“ (TV, ARD); „Himmelreich auf Erden“ (TV, ZDF); „So schnell du kannst“ (TV, ZDF)
Martin Todsharow
Der Booklet-Text zur CD „Suck my Dick” lobt Martin Todsharow als den „begehrtesten Filmkomponisten der Neuzeit“. Was immer nun auch unter „begehrt“ und „Neuzeit“ zu verstehen sein mag, fest steht, dass die drei bislang veröffentlichten Filmscores des Berliners die meisten Extreme abdecken, die in der Filmmusik möglich sind: „Die Unberührbare“ ist ein minimalistische Hymne an die Morbidität; Cello, Klarinette und Klavier fokussieren – im Gegensatz zur sonst üblichen orchestralen Aufbauschmusik – die Aufmerksamkeit ganz auf den einzelnen Ton als Stimmungsträger der Trostlosigkeit. „Suck my Dick“, ebenfalls inszeniert von Oskar Roehler, bietet experimentelle Club-Music mit einem unverhohlen narzisstischen Hang zur musikalischen Geschmacklosigkeit – ein fast schon dadaistisches Pamphlet. Mit „Tattoo“ schließlich empfiehlt sich Todsharow Hollywood, und zwar weniger den dortigen auf Harmonie bedachten Genres als vielmehr jenen, die sich mit der Ausleuchtung der dunklen Seite der Seele beschäftigen. Assoziationen zu Howard Shores „Sieben“ oder Angelo Badalamentis „Arlington Road“ drängen sich auf. Vielleicht ist Todsharow noch keine „neuzeitliche Offenbarung“, gewiss aber das begabteste „Enfant Terrible“ der aktuellen deutschen Filmmusik.
Filmografie: 1997 „Spuk aus der Gruft“; „Der Rosenkavalier“; „Eine“ (Doku); „T.E.A.M. Berlin: Unternehmen Feuertaufe“ (TV) ; 1999 „Spuk im Reich der Schatten“; „T.E.A.M. Berlin: Der Kreuzzug“ (TV); 2000 „Die Unberührbare“ [Soundtrack bei Tsunami/Ceraton]; 2001 „Polizeiruf 110: Braut in Schwarz“ (TV, ORB); „Mein Papa mit der kalten Schnauze“ (TV/Pro/), „Zoom“; „Suck my Dick“ [Soundtrack bei Metronom/Universal]; „Tattoo“ [Soundtrack bei EmArcyUniversal]; „Hijack Stories“; 2002 „Tatort: Schlaf, Kindchen, schlaf“ (TV, ARD/WDR); „Tanz der Schwestern“ (TV, RTL); „Die Tränen meiner Tochter“ (Regie: Sherry Horman); „Eierdiebe“ (Regie; Robert Schwentke)
Ralf Wengenmayr
Wenn es hierzulande einen „Mann fürs Grobe“ geben würde, er müsste Ralf Wengenmayr heißen. Wer sich an die musikalische Vertonung von „OP ruft Dr. Bruckner“, „Erkan & Stefan“ und zu guter Letzt „Der Schuh des Manitu“ heranmacht und dabei nicht nur sein filmmusikalisches Gesicht wahrt, sondern sogar als Sieger den Platz verlässt, dem gebührt wahrlich Respekt. Besonders die Persiflage „Der Schuh des Manitu“ ist nicht nur eine köstliche Anhäufung von Eklektizismen aus dem Reich der „Winnetou“-Filme, sondern auch handwerklich auf einem ebenso hohen Niveau wie seine Vorbilder. Vor 30 Jahren hatte man Martin Böttcher für seine epischen Schmalz-Scores auch nur belächelt; heute sind sie Klassiker.
Filmografie: 1994 „Augsburger Puppenkiste: Der Raub der Mitternachtssonne“ (TV, ARD); „Once in a Lifetime“ (TV, BBC); 1995 „Alle meine Töchter“ (TV, ZDF); „Unter Druck“ (TV, RTL2); „OP ruft Dr. Bruckner“ (TV-Mehrteiler, RTL); „Berlin-Moskau“ (TV, RTL2); „Tod im Paradies“ (TV, Pro7); 1998 „Midnight Flight“ (TV, Pro7); „Jimmy the Kid“; 1999 „Bergkristall – Verirrt im Schnee“ (TV, ZDF), „Familie gesucht“ (TV-Serie, RaiUno/France 2); 2000 „Erkan & Stefan“, „Legion“, „Zwischen Liebe und Leidenschaft“ (TV, ZDF); 2001 „Der Schuh des Manitu“ [Soundtrack bei BMG], „Jetzt bringen wir unsere Männer um“ (TV, RTL), „Bel Ami – Liebling der Frauen“ (TV, ARD); „Feuer, Eis und Dosenbier“; 2002 „Erkan & Stefan gegen die Mächte der Finsternis“ [Soundtrack bei Virgin]; „Flamenco der Liebe“ (TV, ARD/ORF), „Crazy Race“ (TV, RTL), „Der Schuh des Manitu – Direcor’s Cut“
Gert Wilden jr.
Jemanden als „Newcomer“ angesichts einer Karriere zu bezeichnen, die zumindest schon sieben Jahre zurückreicht, ist vielleicht ein wenig unpassend. Tatsache aber ist, dass Gert Wilden jr. mit der Musik zu Joseph Vilsmaiers „Leo & Claire“ (2001) erstmals die Chance bekam, sich einem größeren Publikum zu Gehör zu bringen, zumal sich ein Major-Label fand, das die Musik auf CD herauszubrachte. Wilden hat sein Handwerk von klein auf (u.a. bei seinem berühmten Vater) gelernt – mit Erfolg, wenn man bedenkt, dass er selbst auch orchestriert und zudem die Partitur zusammen mit Teilen der Münchner Philharmoniker eingespielt hat. Stilistisch ist die Musik zu „Leo & Claire“ gemäß seinem „Period-Piece“-Status nahe an Klängen der 20er-Jahre angelehnt; in den Hauptmotiven zeigt sich aber eine universellere Filmmusiksprache, die auch einem gepflegten Big-Budget-Film aus Hollywood gut zu Gesicht stünde.
Filmografie: 1995 „Die 32 Richtungen der Windrose“ (Doku); 1996 „Taxi Lisboa“; 1998/99 „Flucht in den Dschungel“ (Doku); 1999 „Quiero Ser“ (Kurzfilm); „Lupo und der Muezzin“ (TV, ARD); 2000 „Palermo flüstert“; „Gnadenlos“ (Doku); 2001 „Leo & Claire“ [Soundtrack bei BMG]; „Selbstbeschreibung“ (Doku); „Himmelhölle“ (Doku); „Tom ist mein Sohn“ (TV, SAT1); 2002 „Tatort: Flashback“ (TV, ARD/SWR); „Daddy“ (Arbeitstitel, Regie: Giacomo Battiato); „August der Glückliche“ (TV, ZDF).